Analoge vs. digitale Fotografie

Einleitende Gedanken

Alle fototechnischen Verfahren und Arbeitsweisen haben ihre Vorzüge. Selbst die Daguerreotypie ist in meinen Augen keine veraltete Technik, so man einmal davon absieht, dass wir heutzutage nicht mehr dieselbe naive Ungezwungenheit im Umgang mit gesundheitsschädlichen Chemikalien an den Tag legen. Daguerreotypien haben fraglos etwas Magisches. Beim Betrachten alter, auf diesem Verfahren beruhender Porträts gewinnt man bisweilen den Eindruck, dass die frühe Scheu indigener Völker vor der Fotografie gar nicht einmal so unberechtigt gewesen ist. Den Gewinn an Komfort darf man nicht mit künstlerischem Fortschritt gleichsetzen. Entscheidend für das Ergebnis bleiben die Originalität und Kreativität des Fotografen und die jedem Fotografieverständnis innewohnenden Gestaltungsprinzipien.

Die pauschale Verdammung der digitalen Fotografie ist daher genauso unsinnig wie die Glorifizierung der analogen Fotografie. Beklagen muss man allerdings, dass man heute weit mehr noch als früher der Kameratechnik übertrieben viel Aufmerksamkeit schenkt. Entscheidend bleibt die Frage, was für die fotografische Praxis relevant ist und was nicht.

Im direkten Vergleich muss man systembedingte Merkmale der analogen und digitalen Welt trennen von Merkmalen, die nur bestimmte Kameratypen und -klassen eigen sind. Genauso wenig wie man im analogen Bereich eine Mittelformatausrüstung mit einer Kompaktkamera vergleichen sollte, erscheint es zweckmäßig, die Gesamtheit der Digitalkameras der Gesamtheit der analogen Kameras gegenüberzustellen.

Entscheidungshilfen

Die hier angeführten Argumente halte ich persönlich bei der Entscheidung zwischen einer analogen und digitalen Ausrüstung für hilfreich.

Das Wichtigste an erster Stelle

  • Eine Digitalkamera bietet die Möglichkeit, eine Aufnahme vor Ort zu beurteilen. Diese Eigenschaft darf man jedoch nicht überbewerten, denn ein kleines Display erlaubt allenfalls eine grobe Abstimmung. Eine Aufnahme wird in vielen Fällen nicht dadurch besser, dass man drauflosknipst und nachträglich auswählt, sondern eine Aufnahme wird deswegen gut, weil man sich vorher auf die fotografische Situation einstellt und sein Instrument beherrscht.
  • Digitale Kameras fördern das Knipsen ohne Sinn und Verstand. Ich würde sie als schlechte Lehrmeister bezeichnen. Oder welches Urteil liegt nahe, wenn Exemplare mit den Worten zum Kauf angepriesen werden, dass mit ihnen lediglich 44.000 Auslösevorgänge getätigt wurden? Im Vergleich hierzu: Ein mechanischer Verschluss vom Typ Synchro-Compur ist insgesamt auf nicht mehr als 10.000 Auslösevorgänge hin ausgelegt …
  • Die ISO-Empfindlichkeit kann bei Digitalkameras eingestellt werden. Auch wenn die Sensoren nur eine feste Grundempfindlichkeit bieten, lassen sich unter schlechten Lichtverhältnissen noch hervorragende Ergebnisse erzielen, wo analoge Kameras an ihre Grenzen stoßen. Besonders hohe ISO-Werte decken Filme nicht ab. Der Filmwechsel hat dagegen den Vorteil, dass mit ihm eine Änderung der Grundempfindlichkeit und Filmcharakteristik einhergeht.
  • Ein gestalterischer Nachteil ergibt sich bei der Verwendung von kompakten Digitalkameras: Weil die Tiefenschärfe sehr groß ist, fällt es schwer, Objekte herauszustellen. Im digitalen Vollformat (Kleinbildäquivalent) besteht dieses Problem nicht, weil dieselben Brennweiten wie im analogen Kleinbildformat zum Einsatz kommen.
  • Mit einer Digitalkamera erhält man schnell ein fertig ausgedrucktes Foto. Der Film muss nicht zuerst verbraucht und entwickelt werden: Für Pressefotografen und das Internet (und die kurzlebige Zeit) ist die digitale Welt ein Segen.
  • Fotografie hat für mich in allen Situationen etwas mit Kunst zu tun: „Das malen mit der Kamera“. Wer sich zu künstlerischer Tätigkeit berufen fühlt, sollte eine Kamera wählen, die ihn oder sie in der Kreativität unterstützt. Ob das auf die aktuellen Digitalkameras zutrifft, muss jeder für sich selbst beurteilen. Die Elektronikverliebtheit hielt ja schon vor vielen Jahren bei den analogen Kameras Einzug, sodass es zeitweilig schwieriger war, in einer bestimmten Situation das geeignete Programm auszuwählen, anstatt einfach Blende und Zeit einzustellen.

Kosten und Zeit

  • Wer seine Bilder auf elektronischen Medien festhält, der muss mit einem wesentlich höheren Archivierungsaufwand rechnen. Dafür sind die Aufnahmen theoretisch unendlich lange haltbar. Wer keine Lust verspürt, seine Archive regelmäßig zu kontrollieren, doppelt zu halten und umzukopieren, der geht das unkalkulierbare Risiko ein, die Arbeit vieler Jahre zu verlieren. Im Vergleich hierzu sind Negative pflegeleicht. Achtet man auf die richtige Verarbeitung und auf angemessene Lagerbedingungen regelt sich die Archivierung für die Lebensdauer des Fotografen von allein.
  • Unter Hinzuziehung des Gebrauchtmarktes sind Digitalkameras bei gleicher Leistung gegenüber Analogkameras immer noch teurer. Zum Beispiel dürfte eine gut erhaltene Minolta Autocord jeder Digitalkamera mit einem Sensor kleiner Vollformat überlegen sein – wenn nicht in der Auflösung, dann aber doch eindeutig im Tonwertumfang und in der Gesamtanmutung.
  • Bei der Digitalfotografie ist eine Nachbearbeitung im Preis inbegriffen; bei der Analogfotografie muss man entweder den Weg über die Digitalisierung gehen oder ausbelichten lassen.
  • Das Scannen von Mittelformat-Negativen nimmt extrem viel Zeit in Anspruch.
  • Der Wertverlust einer Digitalkamera ist erheblich, sodass sich nach einigen Jahren der Verkauf nicht mehr lohnt. Wie uns der Vergleich mit Computern lehrt, wird sich das zukünftig wohl nicht ändern. Und ob eine Digitalkamera in zehn Jahren überhaupt noch repariert werden kann, hängt allein vom Willen des Herstellers ab. Für eine mechanische und gut erhaltene analoge Mittelformatkamera lohnt sich eine Reparatur dagegen immer.

Eine Frage des Komforts

  • Digitalkameras können – selbst im Vergleich zum Kleinbildformat – wesentlich kompakter gebaut werden.
  • Die Speicherkarten von Digitalkameras sind gegen Röntgenstrahlen von Gepäckscannern unempfindlich. Der Analogfotograf muss sich mit abschirmenden Dosen behelfen, wobei mir das Sicherheitspersonal vor Ort eigentlich regelmäßig garantierte, dass für Filme die verwendete Strahlung unbedenklich sei. Mir fehlt hierzu eine abschließende Expertenmeinung.

Sonstiges

  • Wie authentisch können Digitalfotos sein? Bei der Digitalfotografie gibt es kein Original und somit keinen Beleg für Authentizität. Dem mag man auch Gutes abgewinnen, weil man unter diesen Voraussetzungen kein Original verlieren kann.
  • Die digitale Fotografie benötigt keine die Gesundheit schädigenden Chemikalien.
  • Bei Digitalkameras treten keine Filmtransportgeräusche auf.